Die Gastronomie im Wandel der Gesellschaft

Kirche und Politik, Anlässe und Vereine. Dies alles prägte das Dorfleben und formte eine Beizenkultur, die es heute nicht mehr gibt. Geschichten der Gasthäuser Rössli und Pilatus zeigen den Wandel exemplarisch auf.

Ein Karfreitag in den 1970er-Jahren. Die Glocken der Pfarrkirche laden zum Gottesdienst. Die Beizen sind sonst um diese Zeit schon lange geöffnet, nicht aber an hohen katholischen Feiertagen wie Karfreitag oder Bettag. «Wir durften nicht vor elf Uhr öffnen, damit die Leute nicht vor der Kirche in die Wirtschaft gehen konnten», erzählt Lisbeth Voegtli. Zusammen mit ihrem Mann Felix führte sie fast 40 Jahre lang das «neue» Gasthaus Rössli an der Kantonsstrasse. Sie hatten das Rössli 1973 von ihren Eltern abgekauft, die zuvor 30 Jahre lang Besitzer des Rössli waren. Heute führt Tochter Esther Lötscher-Voegtli die Beiz in dritter Generation.

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Das Gasthaus Pilatus hatte über Jahrzehnte eine grosszügige Gartenwirtschaft zur Dorfstrasse hin.

Jassen verboten

Die hohen Feiertage waren auch mit anderen Restriktionen verbunden. «Musik und sogar Jassen waren an diesen Tagen verboten», sagt Lisbeth Voegtli. Kaum war der Gottesdienst in der Pfarrkirche an Feiertagen oder Sonntagen aber zu Ende, strömten die Menschen in die Wirtshäuser. «Am Sonntag lohnte es sich, geöffnet zu haben. Dann kamen auch die Bauern in die Wirtschaft und deckten sich für die ganze Woche mit Rauch ein, das heisst mit Stumpen. Wir verkauften pro Sonntag eine ganze Schublade voll.» Bis Ende der 1950er-Jahre gab es im Rössli keinen Ruhetag. Wie die meisten anderen Beizen hatte es täglich geöffnet. «Sonst hiess es, die haben es nicht nötig», erinnert sich die ehemalige Wirtin. Das Gasthaus Pilatus hatte über Jahrzehnte eine grosszügige Gartenwirtschaft zur Dorfstrasse hin. Das Gasthaus Eintracht (Aufnahme von 1938) wurde auch «Pelzmühle» genannt. Es musste dem Ausbau der Autobahn weichen.

Nähe zur Kirche

Dieselben Erfahrungen machten Franz und Anna Künzli-Hartmann im Gasthaus Pilatus. 1957 hatten sie das Gasthaus von der Mutter von Franz übernommen, die es 1925 gekauft hatte. «Wir haben über Jahre täglich 14 bis 16 Stunden gearbeitet», erzählt Anna Künzli-Hartmann. Sonn- und Feiertage waren besonders streng. «Dann hatten die Leute Zeit, in die Beiz zu gehen. Auch am Weissen Sonntag und an Ostern hatten wir immer voll.» Das Pilatus profitierte auch in anderer Hinsicht von der Nähe zur Pfarrkirche. «Wir hatten sehr viele Hochzeiten und Leidessen mit bis zu 80 Gästen.» Gegen Ende ihrer Wirtezeit wurden solche Anlässe seltener. «Es lief immer schlechter. Die Leute nehmen heute im kleinen Rahmen Abschied und machen keine grossen Leidessen mehr.» Die räumliche Nähe zur Kirche war zudem mit einem «schönen Brauch» verbunden, wie es Anna Künzli nennt: «Während rund 20 Jahren errichteten wir immer an Fronleichnam einen grossen Altar zur Kirche hin.»

Das Gasthaus Eintracht (Aufnahme von 1938) wurde auch «Pelzmühle» genannt. Es musste dem Ausbau der Autobahn weichen.

Politik am Stammtisch

Was sich ebenfalls verändert hat: Das Militär benutzt den Rössli-Saal längst nicht mehr als Lager, und im Rössli als traditionelle CVP-Beiz wird nicht mehr politisiert wie einst. «Die CVP führte alle Versammlungen bei uns durch. Die Leute kamen und stellten Fragen, man hat sich informiert und ausgetauscht», sagt Voegtli: «Heute merkt man nicht mehr, dass eine Abstimmung ist.» Das erlebte auch Anna Künzli so. Das Gasthaus Pilatus war die Beiz der Liberalen. Man politisierte, diskutierte – und war sich zuweilen uneinig. «Einmal gerieten sich ein Konservativer und ein Liberaler in die Haare. Ich sagte dem Konservativen, er solle lieber ins Rössli gehen.» Daraufhin beschwerte sich der Konservative beim Pfarrer, der Anna Künzli zu sich zitierte. «Er sagte mir, ich solle mich nicht in die Politik einmischen.»

Lisbeth Voegtli, Anna Künzli und Felix Voegtli im Gasthaus Rössli.

Rauch ist geblieben

An die Jahre 1960 bis 1965 erinnert sich Anna Künzli gut. «Damals nahm der Fremdenverkehr stark zu. Die Leute schauten zwar aufs Geld, wollten nach den Kriegsjahren aber etwas erleben.» Im Pilatus logierten viele Deutsche, Engländer und Italiener. Das Gasthaus war für lange Zeit auch die Herberge für Bauarbeiter der ersten Autobahn der Schweiz (vgl. Kapitel 1, «Autobahn»). Solche Jahre sind Geschichte. Das Restaurant Pilatus bediente im Jahr 2000 die letzten Gäste. Den Hotelbetrieb führten Franz und Anna Künzli-Hartmann bis 2007 weiter. Danach verkauften sie die Liegenschaft. Das Rössli ist trotz allen gesellschaftlichen Veränderungen noch immer Restaurant und Hotel, Vereinslokal und Treffpunkt – und die einzige Beiz in Horw, in der geraucht werden darf. Die Einführung des Rauchverbots veränderte die Beizenkultur – im Gasthaus Pilatus genauso wie im Rössli. Lisbeth Voegtli kann dem Verbot auch Positives abgewinnen: «Das Rössli hat noch immer viele Stammgäste. Und ich würde sagen, gerade weil es ein Raucherlokal ist.» So präsentierte sich das Hotel Sternen 1984. Zwei Jahre später wurde der Neubau eingeweiht. In den 1980er-Jahren herrschte im Hotel St. Niklausen Hochbetrieb, seit 2007 steht es leer.

ÄLTESTES GASTHAUS

Das Gasthaus zum Rössli gilt als das älteste Gasthaus der Gemeinde Horw. Das Tavernenrecht wurde erstmals 1535 festgehalten. Das «alte» Rössli stand auf einem kleinen Hügel am südöstlichen Ende des Häuserkomplexes um die Pfarrkirche und war ein zweistöckiger Holzbau mit einer angebauten Schützenlaube. In einer Märznacht 1885 brach ein Brand aus, dessen Ursache ungeklärt blieb. Zwei Menschen starben. Ein Jahr später wurde das neue Gasthaus Rössli am heutigen Standort an der Kantonsstrasse erbaut. Das Metallschild mit dem weissen Rössli, das über dem Eingang hängt, ist das Einzige, das vom alten Rössli geblieben ist.

AUSBILDUNG STATT HEUBÄDER

Das Kurheim St. Chrischona war während rund 30 Jahren der wichtigste Hotelbetrieb auf der Halbinsel. Der Kurort wurde 1959 eröffnet und wurde bis 1987 durch die Diakonissen der Schwesternschaft St. Chrischona betrieben. Die Gäste waren zu täglichen Andachten und zum Gottesdienst am Sonntag eingeladen. Sie erholten sich mit ärztlicher Betreuung und entspannten sich in Heubädern. Oder wie es in der Hausordnung hiess: «Mögen Ihnen die Tage der Stille Hilfe und Erquickung bringen für Leib und Seele!» Seit 1997 werden im ehemaligen Kurheim Hotelfachleute, Touristiker und Event Manager ausgebildet. Das International Management Institute (IMI) ist in Schweizer Familienbesitz und gehört weltweit zu den Top 12 der Hotelfachschulen. Rund 8’000 Studierende aus aller Welt haben ihre Berufsausbildung in Horw abgeschlossen. Jedes Semester beginnen rund 200 Studierende einen Lehrgang, der dank Kooperationen auch international anerkannte Bachelor- und Masterabschlüsse im Fachgebiet ermöglicht. Eigentümerin der Liegenschaft ist die AWS Chrischona AG in Luzern.

So präsentierte sich das Hotel Sternen 1984. Zwei Jahre später wurde der Neubau eingeweiht.
Das Hotel St. Niklausen im Jahr 1980.

Restaurants und Hotels mit Tradition

Heute in Betrieb

Rössli: Älteste Wirtschaft von Horw, Tavernenrecht seit 1535. Hotel und Restaurant.

Seehotel Sternen: Tavernenrecht seit 1643. Eng mit der Geschichte des Fährbetriebs verbunden, da es im Winkel bis zum Bau der Brünigstrasse 1860 einen regen Schiffsbetrieb gab. Mehrfache Um- und Anbauten. 1973 Übernahme durch die Korporation Horw. 1986 Eröffnung des Neubaus.

Seehotel Kastanienbaum: 1871 eröffnet, bis 1874 nur Sommerwirtschaft, danach das ganze Jahr offen. 1901 zu einem «modernen» Hotel umgebaut. In den 1980er-Jahren neu gebaut.

Waldegg: Konzession seit 1874 (zuvor die «Fischerhütte»). 2014 zum Boutique-Hotel erweitert.

Restaurant Schwendelberg: Bauernhaus um 1790 erbaut. Ab ca. 1904 Luftkurort und Sommerwirtschaft, 1977 Eröffnung des heutigen Berggasthauses.

Nicht mehr in Betrieb

Hotel St. Niklausen: 1875 als Sommerwirtschaft eröffnet. 1907 zu Hotel und Pension umgebaut. Seit 2007 geschlossen.

Restaurant Eintracht in Ennethorw: Ab 1863 mit Pintenschenkrecht, ab 1865 mit Wein- und Speisewirtschaftsrecht. 1994 abgebrochen.

Hotel Waldhaus Oberrüti: 1874 als Mostwirtschaft für die Sommermonate konzessioniert, 1895 als Restaurant. Unterhielt neben Hotelbetrieb einen Reitstall, Tennisplätze und ein Schwimmbad. Seit 2003 nicht mehr in Betrieb.

Gasthaus zum Pilatus: 1897 eröffnet, bis 2000 Pension und Restaurant, danach bis 2007 nur noch Hotel. 2002 unter Denkmalschutz gestellt.

Optimales Mikroklima für Rebberge

Bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts wuchsen zwischen Langensand und Bachtel Reben, aus denen Wein gekeltert wurde. Der erste Weinberg Horws soll sich aber beim Steinbruch im Winkel befunden haben. Auf der Halbinsel herrschte allerdings bis in die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts die Obstkultur vor, dann wurde sie in einzelnen Gebieten durch den Weinbau ersetzt.

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Weingut Rosenau

1963 liess Fritz Rieder auf dem Gelände der damaligen Gärtnerei als zweiten Rebberg im Kanton Luzern eine Hektare Rebstöcke der Sorten Pinot Noir und Riesling-Silvaner pflanzen. Der junge gelernte Winzer Toni Ottiger konnte den Rebberg im Jahr 1981 pachten. Die Rosenauer Trauben wurden damals in Gelfingen gekeltert, denn dort hatte Toni Ottiger bis 1999 eine zweite Hektare Rebland und einen Keller gepachtet.

Die Familie Ottiger lebte fast 30 Jahre im hellroten Haus über dem Rebberg.

Ausbau des Rebbergs

Der Verkauf der Rosenauer Weine fand im hellroten Haus über dem Rebberg statt, wo Toni Ottiger mit seiner Familie fast 30 Jahre wohnte. Nach und nach konnte er Land dazu pachten und den Rebberg auf etwas über 7 Hektaren vergrössern. Dank strenger Ertragsregulierung und einer sorgfältigen Kelterung erlangten die Weine über die Region hinaus eine gewisse Bekanntheit. Im Jahre 2000 wurden die Räume der Mosterei Rüttimann in St. Niklausen gemietet und zur Kelterei umgebaut. Der Verkauf der Weine findet seit 2010 in der Spissen-Scheune statt.

Rebberg Sonnenrain

Neben dem Weingut Rosenau hat es im Gebiet Niederrüti einen weiteren Rebberg, der von Heidi und Walter Deschwanden bewirtschaftet wird. Der Rebberg Sonnenrain besteht seit 2011 und ist 104 Aren gross. Hier werden Gamaret und Riesling-Silvaner gekeltert.

Ursula Rohrer Ottiger, Weinbau Ottiger, und Benno Zumoberhaus, Gemeindearchivar Horw