Schiffsunglück: Die Tragödie am Haslihorn birgt einen Neuanfang

1944 sind auf der Höhe Haslihorn zwei Schiffe kollidiert. 20 Menschen sterben, 19 davon gehörten zu einer Hochzeitsgesellschaft. Es ist das schwerste Schiffsunglück der Schweiz. Die Katastrophe verhilft einer Familie mit Horwer Wurzeln und 11 Kindern zu einem Neustart.

Der 12. Oktober 1944 sollte ein freudiger Tag werden. Gottfried Studer und Pia Portmann waren mit ihrer Hochzeitsgesellschaft aus Escholzmatt nach Luzern gereist. In der Peterskapelle beim Schwanenplatz gaben sie sich das Ja-Wort. Die Feier fand im Hotel St. Niklausen statt. Für die Hin- und Rückfahrt mietete die Gesellschaft das Motorboot «Schwalbe».

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Die «Schwalbe» vor der Hebung, nachdem das Boot zum Ufer geschleppt wurde (Staatsarchiv Luzern).

Feier im Hotel St. Niklausen

Das Fest begann mit einem Mittagessen, eine Kapelle spielte zum Tanz. Es trafen Telegramme mit Glückwünschen ein, die der Bräutigam laut vorlas. Die Hochzeitsgesellschaft mit fast 40 Personen verbrachte den ganzen Nachmittag im Hotel St. Niklausen und wollte nach einem einfachen Abendessen mit der «Schwalbe» zurück nach Luzern, um den letzten Zug Richtung Entlebuch zu  erreichen.

20 Menschen starben

Es war bereits dunkel, als die Hochzeitsgesellschaft das Motorschiff «Schwalbe» bestieg. Auf der Höhe Haslihorn kam es um ca. 20.35 Uhr zum Unglück. Das Motorschiff stiess rund 70 Meter vom Ufer entfernt mit dem Nauen «Schwalmis» zusammen. Die «Schwalbe» begann sofort zu sinken. Die Leute in der Schiffskabine hatten keine Chance. Einige fielen ins Wasser und ertranken, weil sie nicht schwimmen konnten. Unter ihnen auch die 27 jährige Braut. Insgesamt starben 20 Menschen beim Unglück – 19 Personen der Hochzeitsgesellschaft und der Bootsführer, der gleichzeitig der Besitzer der «Schwalbe» war. 13 Personen wurden gerettet. Der Bräutigam überlebte, ein Grossteil seiner Familie aber kam ums Leben. Es war das schwerste Schiffsunglück der Schweiz. Bei der Trauerfeier in Escholzmatt war unter anderem Bundesrat Philipp Etter anwesend. Das Unglück wurde nachgestellt. Fahrrichtung des Nauens und des Motorboots unmittelbar vor dem Zusammenstoss (Staatsarchiv Luzern). Heute verfügt das Unternehmen «Charles Bucher» beim Palace und beim Nationalquai über einen Schiffssteg.

Das Unglück wurde nachgestellt. Fahrrichtung des Nauens und des Motorboots unmittelbar vor dem Zusammenstoss (Staatsarchiv Luzern).

Neuanfang für Familie Bucher

Die Tragödie war für die Familie Bucher der Start in ein neues Leben. Charles Bucher war Luzerner und arbeitete als Chauffeur, seine Frau Hermine stammte aus Horw. Sie hatten 11 Kinder und lebten an der Voltastrasse in Luzern in einfachsten Verhältnissen. Der Erstgeborene Markus Bucher zu seiner Kindheit: «Wir hatten keinen Rappen und die Pfarrei St. Paul hat uns immer geholfen.» 2019 feierte Markus Bucher seinen 90. Geburtstag. Er wohnt bereits seit 35 Jahren in Horw. Als das Schiffsunglück geschah, war er 15-jährig und in der Ausbildung zum Mechaniker.

Schiffsvermietung als Geschenk

Die Erben des verunglückten Bootsbesitzers verkauften die Schiffsvermietung an einen gewissen «Motor-Wehrli». Als neuer Besitzer interessierte er sich nur für das Bootshaus am Alpenquai, wo sich heute der Seeclub Luzern befindet. «Die Schiffsvermietung wollte er nicht», erzählt Markus Bucher. «Unser Pfarrer erfuhr davon und schlug vor, dass man einer kinderreichen Familie etwas Gutes tun sollte. » So schenkte «Motor-Wehrli» die Bootsvermietung der Familie Bucher. «Wir sind über Nacht zu einem eigenen Geschäft gekommen. Das war Wahnsinn.»

Nachts Schiffe reparieren

Das Unglücksschiff «Schwalbe» konnte nicht mehr fahrtüchtig gemacht werden. Bug und Heck wurden abgetrennt und der Rumpf auf den Kopf gestellt. Das Wrack diente den Buchers künftig als Dach für das Materiallager. Die anderen geschenkten Schiffe waren Motorboote für 10 bis 20 Passagiere. Das bedeutete für Markus Bucher als ältesten Sohn und seinen Vater Charles viel Arbeit. «Die Schiffe waren in schlechtem Zustand. Wir haben sie selber revidiert, inklusive den Motoren.» Für den Lehrling hiess das: tagsüber in der Werkstatt arbeiten, nachts die Schiffe des neuen Familienunternehmens reparieren.

«Charles Bucher» nimmt Fahrt auf

Das Unternehmen «Charles Bucher» nahm langsam Fahrt auf. Die Familie fuhr mit Gesellschaften über den Vierwaldstättersee und baute selber Pedalos, die sie an Einheimische und Touristen vermietete. Die alten Kähne wurden bald abgestossen und neue Schiffe gekauft. «Ich hatte von Anfang an das Sagen und habe alles organisiert», sagt Markus Bucher und ergänzt nicht ohne Stolz. «Ich war es auch, der die Exkursionen erfunden hat.» Es sollte nicht das Einzige sein, das der Horwer anpackte. Er lancierte unter anderem das erfolgreiche «Night-Boat», führte eine Bootswerft und sorgte dafür, dass der Titlis zum Ausflugsziel für Asiaten wurde. In den letzten 70 Jahren machte sich «Charles Bucher» zu einem gefragten Anbieter von Bootsexkursionen auf dem Vierwaldstättersee. Heute wird das Unternehmen in dritter Generation geführt und verfügt über eine Flotte mit sieben Schiffen – von der MS TARAS mit 96 Sitzplätzen für Exkursionen bis zum Fahrschulschiff SILAS. Die Anfänge mit der Katastrophe und die glücklichen Umstände hat die Familie nicht vergessen. Die Dankbarkeit ist noch heute spürbar.

Das Schweizer Fernsehen hat das Unglück 2020 in einer Doku-Drama-Reihe aufgearbeitet. Die Folge mit dem Titel „Bis dass der Tod euch scheidet“ aus der Reihe „Es geschah am…“ gibt es auf Play SRF zu sehen.

Zum Sendebeitrag „Bis dass der Tod euch scheidet“ von SRF.

Bank Brunner: Ein Bankier und Hochstapler als Nachbar

Die schillernde Person Ernst Brunner bezog Ende der 1960er-Jahre mit seiner sechsköpfigen Familie die grosse Villa neben uns in Kastanienbaum. Niemand ahnte, dass unser Nachbar nicht nur Bankier und Direktor war, sondern auch ein Hochstapler und gewiefter Taktiker, ein Charmeur und Lebemann. Brunner hatte mit meinem Vater im Zweiten Weltkrieg Dienst geleistet. Seine Stieftochter Eva ging in die gleiche Klasse wie ich. Daher kam es öfters vor, dass der Butler von Brunners nach einem der zahlreichen Feste am Morgen bei uns klingelte. Mit weissen Handschuhen streckte er Silberplatten mit Brötchen, Lachs und Kaviar entgegen – Reste des üppigen Buffets.

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Mit Chauffeur zur Schule

Eva wurde öfters mit dem riesigen Ford Lincoln Continental Coupé zur Schule gefahren. Sobald ich hörte, dass vor der Villa der Motor startete, packte ich meinen Schulthek und stand an den Strassenrand. Welch ein erhabenes Gefühl, wenn die Limousine neben mir hielt und ich mitfahren durfte! Auch die Hausaufgaben machte ich ab und zu mit Eva in der Villa. Unaufgefordert kam jeweils der Butler und fragte nach unseren Wünschen. Eine Cola war für mich das absolute Highlight. Das Parfüm, das die ganze Villa in eine Duftwolke hüllte, rieche ich noch heute. Am 30. Juni 1967 feierte Ernst Brunner seinen 50. Geburtstag mit einem dreitägigen Fest. In der Einladung stand auch: «Für Garderobe, Unfälle, Bierleichen, Stürze (auch in den See) wird nicht gehaftet.»

Am Tag der Versteigerung der Villa «Anna-Maria» kam es zu einem Verkehrskollaps in Kastanienbaum.
Am Tag der Versteigerung der Villa «Anna-Maria» standen die Schaulustigen Schlange vor der Villa.

Selbstmord in der Villa Anna-Maria

Am Abend des 7. Dezembers 1970 war der Traum des Finanzjongleurs ausgeträumt. Am 9. Dezember war eine Sonderrevision bei der Bank Brunner angekündigt. Brunner wusste, dass er diese Revision nicht heil überstehen würde. So veranstaltete er am 7. Dezember in seiner Villa nochmals ein rauschendes Fest mit dem Ensemble des Stadttheaters Luzern. Zu später Stunde schloss er sich in seine Bibliothek ein und schluckte eine Kapsel Cyanid, die zum sofortigen Tod führte. Elf Tage nach Brunners Tod ersuchte die Bank um Nachlassstundung. Mitte 1971 wurde der Konkurs eröffnet. Zurück blieben ein Schuldenberg von 12,5 Mio. Franken und viele ratlose Gesichter. Der Erlös aus der Versteigerung von Hab und Gut der Villa Anna-Maria im Februar 1972 half wenig zur Tilgung der Schulden. Die Schaulustigen standen Schlange vor der Villa, um ein Andenken vom Lebemann, Verführer und Bankier zu erstehen.

Ruedi Zurflüh, Kastanienbaum

Villa Stutz: Spionagebüro im zweiten Weltkrieg

Die Villa Stutz in St. Niklausen spielte im Zweiten Weltkrieg eine zentrale Rolle. Dort liefen Informationen über die militärischen Entwicklungen aus ganz Europa zusammen. Dahinter steckte der Fotograf und Nachrichtendienst-Offizier Hans Hausamann. Bereits in den 1930er-Jahren hatte er einen Pressedienst aufgebaut, um für eine widerstandsfähige Schweiz zu werben.

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Aufrüsten reichte nicht

Hausamann hatte sich intensiv mit der Landesverteidigung und Wehrpolitik der Schweiz befasst. Durch seine Kontakte ins Ausland erkannte er die Gefahr. Nach der Machtergreifung Hitlers forderte er, dass die Schweiz aufrüste und die Grenzen verstärke. Er schrieb Artikel und mobilisierte das Parlament. «Sehr rasch aber erkannte ich, dass dies alles nicht ausreichend, nicht abschreckend genug sein würde, um unser Land gegen einen Überfall zu schützen.» Hausamann setzte auf Informationen: «Das naheliegendste Mittel war, in Erfahrung zu bringen, wie die Führung des Dritten Reichs denkt, was sie erwägt, beschliesst, tut.»

Netz mit 80 Agenten

Historische Aufnahme der Villa Stutz aus der Publikation
von Raphael Reinhard
Historische Aufnahme der Villa Stutz aus der Publikation von Raphael Reinhard «Horw in Wort und Bild, 1882-1912».

Hausamann baute auf eigene Kosten ein Spionagenetz mit rund 80 Agenten auf und gründete das «Büro Ha», Deckname «Pilatus». Damit beschaffte er während des Zweiten Weltkrieges Nachrichten über die militärische Entwicklung in Europa – erst auf eigene Faust, später in offiziellem Auftrag. Bis 1945 trug er rund 30’000 Informationen zusammen, so auch über die grösste je stattgefundene Panzerschlacht Hitlers 1943 gegen die Rote Armee bei Kursk.

«Büro Ha» in St. Niklausen

Das «Büro Ha» befand sich in seiner Villa Stutz in St. Niklausen nahe an der Stadtgrenze zu Luzern. Das Hauptgebäude wurde 1632 erstellt. Interessant dabei ist, dass Geschichtsbücher vom «Büro Ha in der Villa Stutz in Kastanienbaum» sprechen, obwohl die Villa Stutz immer in St. Niklausen lag. Zeitzeugen erzählten jedoch, dass sich auch im Hotel Kastanienbaum ein Zweig des «Büro Ha» befand. Am Tag des Waffenstillstands stellte Hausamann seine nachrichtendienstliche Tätigkeit ein und liquidierte sein Büro. In den 1990er-Jahren wurde die Villa Stutz zum Mehrfamilienhaus umgebaut. Zur Anlage gehörten eine Kapelle von 1641 (die heute auf dem Nachbargrundstück steht) und ein Garten-Pavillon von 1650, der unter Denkmalschutz steht.

Ruedi Zurflüh, Kastanienbaum